Simply Red
© Lorenzo Agius / warnermusic.de

Interview

Interview mit Simply Red zum Album „Blue Eyed Soul“

Von Olaf Neumann

Jetzt meldet sich der „dickköpfige Rothaarige mit dem übergroßen Ego“
mit einem klassischen Simply-Red-Album zurück

Die blauen Augen des Soul

Man erkennt ihn sofort. Es sieht so aus, als habe der Schöpfer Mick Hucknall aus einer Laune heraus mit einem roten Schopf und einer schwarzen Stimme ausgestattet. Jetzt meldet sich der "dickköpfige Rothaarige mit dem übergroßen Ego" mit einem klassischen Simply-Red-Album zurück. Im Zentrum von "Blue Eyed Soul" steht die warme und prägnante Soulstimme des 59-jährigen Briten. Eingebettet in einen eigenwilligen, funkigen und jazzigen Dance-Sound, der eindeutig als Simply Red wiederzuerkennen ist. Beim Interview mit Olaf Neumann in Hamburg trägt Hucknall Jeansjacke und Sweatshirt. Seine blauen Augen sind hinter einer getönten Brille versteckt, während er die Alarmglocken läutet und sein künstlerische Philosophie erklärt.

 

Demnächst auf Tour

© Dean Chalkley / warnermusic.de

Mr. Hucknall, "Sweet Child" ist eine Ode an Ihre Tochter, Romy True Hucknall. Wie hat sie Ihr Leben verändert?

Hucknall: Eigentlich ist es eine Ode an alle Kinder dieser Welt. Wenn man sich den Zustand unseres Planeten anschaut, stellt man fest, dass wir unsere Kinder hängen ließen. Meine Generation ist ihrer Verantwortung nicht nachgekommen; viele unserer Politiker belügen uns. Ich will, dass das aufhört. Ich bewundere die Kids, die sich dafür einsetzen, dass unser Planet eine Zukunft hat. Ich wünschte, wir Erwachsenen würden alles tun, um sie dabei zu unterstützen.

Nimmt Ihre Tochter an den Fridays-for-Future-Demos teil?

Hucknall: Ihre Schule denkt und handelt sehr ökologisch. Romy hat sich an einem Projekt über die Suffragetten - den ersten britischen Frauenrechtlerinnen - beteiligt. Sie ist stolz darauf, Feministin zu sein und fest davon überzeugt, dass Mädchen dieselben Fähigkeiten haben wie Jungs.

Was brauchen Sie, um beim Singen Ihre Seele nach außen zu kehren?

Hucknall: Das passiert bei mir wie selbstverständlich, speziell bei dieser Platte. Wahrscheinlich sehen viele Leute in mir einen Blue-Eyed-Soul-Singer. Das habe ich zum Konzept der neuen Platte erhoben. Es gibt darauf keine Mehrdeutigkeiten, wir fokussieren uns auf Funk, Soul und R&B. Ich liebe die Wahrheit, die Realität; ich hasse Lügen und Lügner. Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der mächtige Menschen uns anschwindeln.

Was macht das mit Ihnen?

Hucknall: Ich sehe diese Platte als eine Flucht vor einer unsäglichen und unerträglichen Situation. Die Populisten in der Politik machen mich wahnsinnig. Ich verfolge die Nachrichten sehr genau, aber sie ziehen mich runter. Musik ist für mich eine Möglichkeit, dieser ganzen Scheiße für eine Weile zu entkommen.

Was kann man gegen Politiker tun, die unsere Zukunft aufs Spiel setzen?

Hucknall: Ich möchte, dass dieser Planet in einem Zustand bleibt, der unser Überleben sichert. Die Menschen lieben dieses wunderbare Mädchen Greta Thunberg. Aber wenn wir so zerstörerisch wie bisher weitermachen, wird die Spezies Mensch wahrscheinlich eines Tages aussterben. Das ist keine Hysterie. Vor zwei Jahren war ich mit einem Schiff, das von der National Geographic Society finanziert wurde, in Grönland.

Was haben Sie dort gesehen?

Hucknall: Wir konnten dort sehen, wie die Gletscher schmelzen. Wir müssen mehr dagegen tun! In dem Song "Ring That Bell" läute ich die Alarmglocken. Aufwachen, wir haben ein echtes Problem! Wir sind umzingelt von Dieben und Klimawandelleugnern. Wir müssen sie überwältigen, indem wir sie aus dem Amt herauswählen.

Wer könnte in Ihrer Heimat das Ruder herumreißen?

Hucknall: (atmet tief durch) Ich muss gestehen, dass ich als Brite echt beschämt bin. Ich bin nur zum Teil englisch, meine Großmutter war Schottin und mein Großvater Ire. Mein Vater ist in Cumbria im Nordwesten Englands aufgewachsen. Ich bin ein Nachfahr der alten Kelten. Die Brexit-Sache ist eine angelsächsische Angelegenheit und keine rein englische. Wenn man mich fragt, würde ich das Ganze stoppen.

Spiegelt sich der politisch denkende Mensch Mick Hucknall in seiner Musik wider?

Hucknall: Diese Platte ist nicht besonders politisch, abgesehen von "Ring That Bell". Ich will mich auch mal entspannen und für eine Weile nicht an Politik denken, weil es mich verrückt macht. Ich will nicht, dass mein Land gespalten wird.

Welche Auswirkungen würde der Brexit auf die Musikindustrie haben?

Hucknall: Katastrophale! Dahinter stecken alte weiße Leute. In dem Song "Take A Look At Yourself" mache ich mir darüber Gedanken, indem ich die Frage stelle: Bist du nicht glücklich mit dem, was du in deinem Leben erreicht hast? Warum willst du Mauern bauen? Wir feiern gerade den Fall der Berliner Mauer, aber diese alten weißen Politiker wollen neue Mauern bauen. Ich als Musiker will aber Mauern und Grenzen einreißen. Der Kampf ist noch nicht vorbei. Ich werde noch lange nicht damit aufhören.

Was spricht aus Ihrer Sicht für die EU?

Hucknall: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die EU sich reformieren muss. Aber Großbritannien kann nicht von außen dazu beitragen. Deshalb müssen wir drin bleiben und uns an den Problemlösungen beteiligen.

Singen Sie Liebeslieder, weil Liebe die effektivste Antwort auf Hass ist?

Hucknall: Ja. "Complete Love" wurde inspiriert durch den Nat-King-Cole-Song "Nature Boy". Darin gibt es eine wundervolle Zeile: "The greatest thing you will ever learn is just to love and be loved in return". Das ist eine der schönsten Botschaften, die man an die Menschheit schicken kann. Wenn ich eines Tages sterbe, werde ich aus tiefster Überzeugung sagen können, dass ich geliebt habe und zurückgeliebt wurde.

Sie bezeichen sich selbst als dickköpfig. Haben Sie sehr genaue Vorstellungen davon, wie Simply Red klingen soll?

Hucknall: Nicht wirklich, nein. Aber diese Platte konzentriert sich mehr als alle anderen Alben von Simply Red auf einen bestimmten Sound: Blue Eyed Soul. Sprich: Soul, Rhythm'n'Blues und Funk. Der farbige Jimi Hendrix spielte Songs von einem kleinen weißen Juden aus dem Mittleren Westen namens Bob Dylan. Schwarz und Weiß arbeiten seit 100 Jahren zusammen. Ich möchte alle dazu aufrufen, nicht mehr zwischen diesen Divisionen zu trennen.

Was ist das Problem?

Hucknall: Musikjournalisten sind geradezu besessen von der Trennung zwischen Schwarz und Weiß. Die Frage: Sollten weiße Typen Soul-Musik singen?, ist völliger Schwachsinn und klingt für mich wie eine Forderung nach Rassentrennung. Das Bizarre daran ist, dass die Leute, die sowas äußern, sich als weltoffene Liberale bezeichnen. Ich erinnere, wie Michael Jackson von so genannten unvoreingenommenen linken Journalisten dafür kritisiert wurde, mit dem weißen Rockmusiker Eddie van Halen zusammenzuarbeiten. Das ist lächerlich!

Ist es wahr, dass Sie einmal im Vorprogramm von James Brown aufgetreten sind?

Hucknall: Ja, das war 1985. Als wir spielten, stand er am Bühnenrand mit Lockenwicklern im Haar, was mich sehr verstörte. Während ich versuchte, zum Publikum zu singen, musste ich immer wieder zu ihm schauen. Da stand tatsächlich James Brown mit Lockenwicklern, und sah uns beim Spielen zu. Unglaublich.

Hat er Ihnen zu Ihrem Gig gratuliert?

Hucknall: Nein, wir bekamen keinen Zugang zu ihm. Damals waren wir noch nicht berühmt. Man gab uns zu verstehen, dass wir ihren Künstler nicht stören dürften, weshalb wir gefälligst in unserem Kabuff bleiben sollten. Aber ich habe James 1991 in Mailand wiedergetroffen.

Und: wie war's?

Hucknall: Ich habe mir seine Show angesehen und ihn anschließend hinter der Bühne getroffen. Wir sind dann sogar noch in einen Club gegangen. Zwei Jahre später habe ich mit ihm in Georgia seinen 60. Geburtstag gefeiert. James Brown hat den Funk erfunden, aber ich spiele lediglich mit dem Genre. Ohne ihn würde es wahrscheinlich auch keinen Rap geben. James Brown hat das ganze verdammte Ding ins Leben gerufen und ist wahrscheinlich noch einflussreicher als Elvis.

James Brown war ein Schwarzer, der gegen alle Widerstände einer weißen und repressiven Gesellschaft Stolz und Selbstbewusstsein kultivierte. Wie politisch war er?

Hucknall: Er hatte auf jeden Fall seine Momente, aber sein Werk ist größtenteils unpolitisch. Sein Engagement hat ihm viel Ärger eingebracht. Das sagt mir, dass man sich lieber aus der Politik raushalten sollte. Musiker können dabei nur verlieren. Viele Manager raten ihren Künstlern dringend davon ab, sich politisch zu engagieren. Man verliert dabei Freunde. Ich habe im Moment auch keine große Lust, Leuten zu sagen, was sie denken sollen.

Angefangen haben Sie mit Punkmusik. Hatten Sie ein musikalisches Erweckungserlebnis?

Hucknall: Das ist richtig. Ich habe die Sex Pistols 1976 gesehen. Damals war ich 16 Jahre alt. Ein Kindergartenfreund und ich sind dort hingegangen. Er ist bis heute einer meiner besten Kumpels. Was mich an den Sex Pistols begeisterte, war nicht ihr Musikstil, sondern ihre Fähigkeit, junge Kids wie mich zu inspirieren. Sie gaben mir wirklich das Gefühl, das ich das auch kann. Ihre Musik klang, wie im Schafzimmer gemacht. Ihnen gegenüber standen Unberührbare wie die Rolling Stones und Led Zeppelin. Die Sex Pistols haben mich und meine Freunde dazu inspiriert, uns zu einer kleinen Band zusammenzutun.

Wie gut waren die Sex Pistols im Jahr 1976, als der Punk noch in den Kinderschuhen steckte?

Hucknall: Sie haben mich sehr überrascht. Glen Matlock war schon damals ein ziemlich guter Bassist und Steve Jones konnte wirklich Gitarre spielen. Allerdings klang die Band nicht besonders dicht, weil sie erst seit kurzem zusammenspielte. Ein Jahr später sah ich sie noch einmal. Zu dem Zeitpunkt spielte bereits Sid Vicious bei ihnen mit. Da waren sie aber nicht mehr so gut.

Wenn Sie sich einmal selbst im Spiegel betrachten: Sind Sie der geworden, der Sie immer sein wollten?

Hucknall: Größtenteils ja. Und sogar mehr. Ich bin sehr glücklich, dass ich einen Beruf gefunden habe, den ich wirklich liebe. In dem Song "Take A Look At Yourself" stelle ich den Zuhörern eine freundliche Frage: Schauen Sie einmal in den Spiegel: Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben? Ich weiß, dass niemand alles haben kann, was er sich wünscht, aber wenn man mit seinem Leben nicht glücklich ist, sollte man etwas ändern. Ich finde, wer nur mäßig glücklich ist, ist auch ein bisschen faul.

Wie meinen Sie das?

Hucknall: Viele Leute sind zum Beispiel mit ihrem Job unzufrieden. Aber sie machen einfach weiter wie bisher und werden mit den Jahren immer verbitterter. Sie finden quasi Gefallen an ihrem Unglücklichsein. Ich glaube, dass ist das Problem einiger dieser Brexiteers. Sie sind alt, weiß und unzufrieden. Wahrscheinlich sind sie böse mit sich selbst wegen ihres unerfüllten Lebens. Sie waren mal sehr ehrgeizig, aber es brachte alles nichts, weil sie aus irgendeinem Grund nicht drangeblieben sind. Deshalb sage ich: Wenn du deinen Job hasst, such dir einen neuen! Du hast nur ein Leben.

 

Mick Hucknall

Geboren als Mick James Hucknall im britischen Manchester und aufgewachsen im Arbeiterviertel Denton. 1976 gründet der Sänger die Punkband Frantic Elevators, die 1982 die Single "Holding Back The Years" herausbringt. Vier Jahre später nimmt Hucknall den Song mit Simply Red neu auf und landet damit einen Welthit. Deren viertes Album "Stars" entwickelt sich 1991 mit 8 Millionen verkauften Einheiten zum Top-Seller des Jahres. Ein Jahr später wird er als "Songwriter of the Year" geehrt. Das Folgealbum "Life" wirft den Nummer-1-Hit "Fairground" und die offizielle Hymne der Euro '96, "We're In This Together", ab. Bis heute hat die Band weltweit über 50 Millionen Tonträger abgesetzt. 2010 erhält Hucknall die Goldene Kamera in der Kategorie "Lebenswerk International Musik". 2020 geht er mit Simply Red auf Welttournee unter dem Motto "Blue Eyed Soul". Mick Hucknall lebt mit seiner Frau Gabriela Wesberry und seiner Tochter Romy True Tochter abwechselnd im County Donegal/Irland und in Catania/Sizilien.

Weitere Infos

warnermusic.de

Das könnte Sie auch interessieren

Zurück